Chinas Ostküste lohnt nicht mehr, zumindest aus dem Blickwinkel der Immobilienentwicklung. Die Grundstückspreise sind gestiegen, mittlerweile versprechen andere Regionen höhere Gewinne. Seit ein paar Jahren sind die großen Ballungsräume im Landesinneren an der Reihe entwickelt zu werden.
Eine der Städte ist Xi’an, Hauptstadt der Provinz Shaanxi, mit rund acht Millionen Einwohnern. Die historische Altstadt wird von der größten, weitgehend vollständig erhaltenen Stadtmauer Chinas umschlossen. In den daran angrenzenden Stadtteilen und Vororten wachsen Wohntürme mit angeschlossenen Einkaufszentren in atemberaubendem Tempo in die Höhe, durchzogen von breiten Boulevards. Es sind hunderte gleichzeitig, vielleicht tausende.
Zehn Jahre wird dieser Boom noch anhalten in Xi’an, erklärt eine Architektin aus einem ortsansässigen Büro mit über 600 Mitarbeitern. Fünfzig Jahre soll es noch in ganz China dauern, bis auch die letzte Kleinstadt umgebaut, dem modernen Wohnstandard angepasst ist.
Es entsteht ein urbanes Erscheinungsbild, das sich überall in China gleicht. An überdimensionierte Plattenbauten der DDR erinnernd, scheint der Stadtraum mehr den Wünschen der Investoren als einer den Menschen gewidmeten Stadtplanung zu entsprechen, … soweit die westliche Sicht der Dinge. Fragt man einen Einheimischen nach seiner Meinung, wird man anderes hören, dass nämlich die neu errichteten Wohntürme den Einzug des lang ersehnten Fortschritts einläuten. Mehr noch, sie sind die wahrgewordene, sich manifestierende Zukunft. Fiction becomes fact.
Diesem Spannungsfeld widmen sich Lindle+Bukor gemeinsam mit dem Pekinger Landschaftsarchitekt Lu Yang. Die kulturelle Wahrnehmung von Raum- und Wohngefühl war dabei zentrales Thema der Auseinandersetzung, verbunden mit Überlegungen zur Stadt als landschaftliches System.
Entstanden ist eine permanente Installation in einem Galerieraum, der direkt an einen neu zu errichtenden Stadtteil mit ca. 110 ha Bebauungsfläche angrenzt – einer Fläche entsprechend dem 8. Wiener Gemeindebezirk. Derzeit sind die Abbrucharbeiten voll im Gange. Aufgesprühte Stencils markieren die Gebäude, die entfernt werden. Zwischen den Worten „Abbruch“ und „Umsiedelung“ lächelt ein Smiley.
Die Installation zeigt diesen neuen Stadtteil originalgetreu im Maßstab 1 zu 60. Gebäude, Straßen und Parkanlagen sind vorgegeben, von Investoren, Architekten, vom Raumbedarf. Der neue Stadtbezirk wird von 56, zum überwiegenden Teil Hochhäusern und einer langgezogenen Parkanlage geprägt. Der Betrachter durchfliegt das Areal in Vogelperspektive, die Gebäude sind ungefähr menschengroß.
Die Bewohner der Stadt sind Fische, Goldfische, die die Rolle des Menschen übernehmen. Der zentrale Gebäudekomplex, mehrere Shopping Center und 12 Hochhäuser, ist dementsprechend aus Glas und mit Wasser gefüllt. Der Goldfisch als traditionelles chinesisches Kulturgut ist Symbol für Glück, Wohlstand und Fruchtbarkeit. Diese kulturgeschichtliche Bedeutung, gepaart mit dem lebenden Tier als empathisches Spiegelbild des Menschen, dient als Brücke zur Wahrnehmung und Identifikation des Betrachters mit dem Raum.
Gleich einer Stadt funktioniert die Installation als lebendes, von ökologischen und demographischen Aspekten beeinflusstes System. Das Wasser der Gebäude wird in die Parkanlagen geleitet und dort im Sinne ihrer regenerativen Funktion biologisch gereinigt, bevor es den Gebäuden zurückgeführt wird. Begehbare Glasplatten mit eingravierten Baumsymbolen ermöglichen einen Einblick in dieses System. Das Funktionieren dieses Kreislaufs wird von der Anzahl der Fische, der Fläche der Parkanlagen und der Dimension der Gebäude bestimmt.
Entsprechend der maßstäblichen Darstellung dauert ein Tag in Fishpond City 24 Minuten. Im Boden eingelassene LEDs, als omnipräsentes und im großen Stil verwendetes Gestaltungsmittel in chinesischen Städten, simulieren diesen Rhythmus in den gläsernen Hochhäusern. Die Lichter beschreiben einen Tagesablauf beginnend mit Morgenröte im Osten, gleißendem Weiß zu Mittag und Abendröte im Westen. Diese durch das Modell wandernde Farbsequenz wird von einem Soundscape des bestehenden Stadtteils begleitet: Morgenverkehr, Geschäftslärm, Markttreiben, Gespräche im Park sind festgehaltene Erinnerungen an die Geschichte des Ortes, an einen Stadtteil, der dem Abbruch freigegeben wurde, und in dieser Form nicht mehr lange bestehen wird.
In den verwendeten Materialen reflektieren die Künstler eine Dynamik, in der tradierte Werte scheinbar unmittelbar in eine neue Hülle gepackt werden. Glas als Synonym für Moderne gibt den Gebäuden Form und Glanz. Dem gegenübergestellt repräsentieren Goldfische als älteste Zuchtform von Fischen das alte China und seinen künstlerischen Umgang mit Natur und Landschaft. Der periodisch in die Glaskuben einströmende Nebel ist ebenfalls ein essentielles Stilmittel alter chinesischer Landschaftskunst (besonders bekannt aus der chinesischen Malerei) und taucht in Kombination mit den farbigen Lichtern die Gebäude in ein Wechselspiel aus Volumen und Transparenz.
Als Blick hinter die sozialen Kulissen der chinesischen Turbo-Urbanisierung wird die Installation von einer Portätreihe jener Menschen begleitet, die hinter dem Umbau stehen: Auftraggeber, Stadtplaner, Architekten, Baumeister, Einkäufer, Lieferanten, Bauarbeiter, Wanderarbeiter und ihre Kinder, die mit ihnen von Baustelle zu Baustelle ziehen und auf diesen wohnen. Es ist ein Zusammentreffen unterschiedlicher wirtschaftlicher Kräfte, verschiedener Lebensumstände, Generationen, Geschlechter, das in Gesprächen und Bildern festgehalten wurde.
Fishpond City ist ein Modell von Urbanisierung, von urbaner Lebensweise und Dynamik und damit auch Reflexions- und Identifikationsfläche. Die Nähe der Installation zur Baustelle ist bewusst gewählt und lädt besonders zukünftige Bewohner ein, sich ihrem Lebensraum anzunähern, landschaftlichen Veränderungen des eigenen Umfelds zu reflektieren und den Menschen zu begegnen, die diesen Umbruch baulich bewerkstelligen.